Weiß
Einige Menschen sagen, Weiß wäre keine Farbe. Ich meine, Weiß ist etwas ganz Besonderes, denn Weiß weckt viele Gefühle in uns.
Wir haben ein Wochenende zum Entspannen gebucht und betreten unser Hotelzimmer. Das zentrale Möbelstück ist das Bett. Wir schauen auf weiß bezogene Kissen und weißes Betttuch und freuen uns auf eine schöne Nacht.
Und wenn wir die Freudentränen nicht mehr unterdrücken drücken können, wenn eine Braut, vielleicht ist es unsere Tochter, im weißen Kleid zum Altar schreitet. Die Schöne geht auf ihren Liebsten zu. Das Ja-Wort einer Frau in Weiß ist ein Ja für immer, ein Ja zu ihm.
Als Künstlerin sitze ich oft vor einem weißem Blatt Papier oder einer weißen Leinwand, weiß wie frisch gefallener Schnee. Ich nehme einen Stift oder Pinsel und denke mir eine neue Welt. Architekten und Bauingenieure haben einen Plan, ich nicht. Wenn ich mit einem Kunstwerk beginne, ist es jedes Mal ein Neuanfang, ein Abenteuer. Erst sitze ich einige Zeit und schaue, schaue auf das leere Blatt, auf die leere Leinwand.
Weiß bedeutet Neubeginn
Ich betrachte meine Umgebung und nehme das Licht um mich herum wahr. Manchmal steht ein Aktmodell vor mir, manchmal sitze ich einer kleinen Gasse. Ich konzentriere mich und tauche ab, hinein in den Moment. Gleich geht es los.
Dann packt sie mich, die Leidenschaft. Die Striche, die Linien, die Bögen und Muster, sie wollen aus mir heraus. Ich zeichne die Dinge um mich herum und ich fange schnelle Bewegungen ein, wenn ein Auto oder ein Radfahrer vorbeifahren. Immer mischt meine Phantasie mit. Es entstehen surreale Welten. Ich zeichne schnell, dann wieder langsam. Am liebsten ziehe ich in nur einen Strich. Ich setze den Stift nicht ab, ich korrigiere nicht. Es ist wunderbar zu beobachten, wie aus einer einzigen Linie, eine neue, oft surreale Welt entsteht.
Und wenn ich mich ausruhe und meine Skizzenbücher und Zeichnungen betrachte, erinnere ich mich, an die Plätze, wo ich saß, an die Zeit, die ich an diesem Ort verbrachte und an die Menschen, die ich traf. Ich frage mich, wie konnte es mir gelingen, solche Welten zu erschaffen. War hier ein unsichtbarer Helfer am Werk, oder war ich es selbst?